Zweckentfremdung–der Tagesspiegel macht Drama mit Flüchtlingen

Unter der Überschrift “Bezirksamt nennt Wohnungsvermietung an Flüchtlinge „Zweckentfremdung” berichtet der Tagesspiegel über ein angebliches Fehlverhalten des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg – ein Vorgang, der weder vollständig recherchiert ist noch hat man beim Tagesspiegel das Problem verstanden. Der Fall dreht sich um eine früher als Ferienwohnung genutzte und danach vorübergehend als Wohnung vermietete Erdgeschosswohnung (nicht so etwas Luxuriöses und Gewerbliches wie im Bild).

Die eigentliche Meldung ist kurz und geht so:

Als Ralf F. die Mail vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg bekam, wollte er es erstmal nicht glauben. Das Amt untersagte ihm, eine bisher als Ferienwohnung genutzte Wohnung an ein geflohenes Paar aus dem Iran zu vermieten, obwohl schon alles bestens geregelt war: Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten war einverstanden, es hatte ihm schriftlich zugesichert, die ortsüblichen Mietkosten zu übernehmen. Ein Mietvertrag zwischen ihm und den Iranern war unterschriftsreif. Dennoch wollte die Fachabteilung Wohnen des Bezirks den Einzug der Flüchtlinge verhindern. Ihr Argument: Es handele sich um eine Wohnraumzweckentfremdung. Nach vielfachem Hin und Her gab Ralf F. „entnervt“ auf, er überließ die Wohnung einem anderen Mieter. Das Paar aus dem Iran lebt seither provisorisch bei Freunden.

Ein unmenschlicher Akt sei das, so meint der Tagesspiegel und beklagt, hier sei eine Vermietung von Wohnraum an Flüchtlinge letztlich durch das Bezirksamt verhindert worden. Ich habe nachgefragt: Der betreffende Eigentümer, ein Herr F., hatte dem Bezirksamt mit seiner Anfrage lediglich ein Mietvertrag zwischen ihm selbst und dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten vorgelegt, dessen Inhalt die noch nicht definierte Überlassung der Wohnung an Flüchtlinge mit einer Kostenübernahme des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten war. Der angeblich (so heißt es später in der Meldung) unterschriftsreife Mietvertrag mit den Flüchtlingen lag dem Bezirksamt nie vor. Nach den üblichen Modalitäten in derartigen Fällen hätte es sich nur um eine tageweise oder kurzfristige Vermietung handeln können wie sie beispielsweise bei Hostels oder eben Ferienwohnungen üblich ist. Auch darauf kommt es aber letztlich nicht an. Denn die Rechtslage ist in derartigen Fällen mehr als eindeutig:

Wie sich bereits aus einer im Artikel angesprochenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin aus dem Jahr 2016 ergibt ist eine kurzfristige nicht mit den üblichen Kündigungsfristen ausgestattete Überlassung von Wohnraum zur vorübergehenden Unterbringung eine gewerbliche Nutzung. Es heißt dort:

Die Unterbringung von Flüchtlingen von zeitlich befristeten Kostenübernahmebescheinigungen ist ihrem Sinn und Zweck nach eine vorübergehende „Not“-Unterbringung und mithin nicht als dauerhafte Wohnungsüberlassung anzusehen“

VG Berlin, Beschluss vom 16.03.2016 -VG 1 L 12.16-

Daran kann unter Juristen eigentlich kein Zweifel bestehen. Mietverhältnisse sind nur dann als Wohnraum einzustufen (zivilrechtlich und nach den Bestimmungen der Zweckentfremdungsverbotsverordnung), wenn sie zur dauernden Unterbringung von Menschen dienen und insbesondere auch mit dem vollen Kündigungsschutz für Wohnraum ausgestattet sind. Das kann man ganz einfach in § 549 Abs. 2 Nummer 3 BGB nachlesen; es heißt dort sinngemäß, der Kündigungsschutz für Wohnraum sei nicht anwendbar auf:

Wohnraum den eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein anerkannter privater Träger der Wohlfahrtspflege angemietet hat, um ihn Personen mit dringendem Wohnungsbedarf zu überlassen.

Insbesondere sind die Vorschriften des sozialen Mietrechts beispielsweise betreffend Mieterhöhungsmöglichkeiten und Kündigungsschutz auf solchen Wohnraum nicht anwendbar.

Prüfen musste das in diesem Fall das Bezirksamt noch nicht einmal ansatzweise. Denn auf die vertragliche Ausgestaltung der Wohnungsüberlassung an die Flüchtlingsfamilie kommt es in derartigen Fällen schon überhaupt nicht an. Die Zweckentfremdung liegt bereits dann vor und ist vollständig verwirklicht, wenn eine juristische Person, eine Firma oder eben wie in diesem Fall eine Behörde die Wohnung ihrerseits anbietet um damit Wohnraumbedarf zu befriedigen. Dies ist bereits seit mehr als 30 Jahren ausnahmslos und einhellig Stand der Rechtsprechung. So ist nicht nur die Anmietung von Wohnungen zum Zwecke der Unterbringung beispielsweise von therapeutischen Jugendwohngemeinschaften, Einrichtungen für Suchtkranke oder Wohnmöglichkeiten für Trebegänger oder Obdachlose im Verhältnis zwischen Hauseigentümer und der anbietenden juristischen Person eine gewerbliche Nutzung. Vielmehr gilt dies sogar dann, wenn der ausschließliche Zweck des Mietverhältnisses beispielsweise zwischen einer GmbH und dem Eigentümer der Wohnung die Unterbringung des Geschäftsführers der GmbH zu Wohnzwecken ist. Das ist gewerbliche Nutzung völlig unabhängig davon, was im Mietvertrag steht oder wie der Mietvertrag als solcher bezeichnet ist1. Wie sich schon aus dieser Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2008 ergibt, kann es da unter Juristen keine zwei Meinungen geben.

Der Tagesspiegel hätte da etwas gründlicher recherchieren müssen. Die im vorliegenden Fall an das Bezirksamt herangetragene Anmietung der Wohnung durch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten ist ohne jeden Zweifel eine gewerbliche Nutzung und unterliegt damit dem Zweckentfremdungsverbot und zwar völlig unabhängig davon, ob und wenn ja mit welcher Ausgestaltung die weitere Überlassung an Flüchtlinge, Touristen oder wen auch immer erfolgt. Abgesehen davon, dass der sich hier beklagende Eigentümer zu jeder Zeit den Nachweis dafür schuldig geblieben ist, dass er die fragliche Wohnung unmittelbar und mit einem normalen Wohnraummietvertrag an Flüchtlinge vermieten wollte musste das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg in die nähere Prüfung der Angelegenheit schon deswegen nicht einsteigen, weil ihm ein Gewerbemietvertrag (Anmietung einer Wohnung durch eine Behörde für die Unterbringung von Menschen) präsentiert wurde, der als solcher ohne jeden Zweifel gewerblich ist und dem Zweckentfremdungsverbot unterliegt. Da keines wie gesagt unter Juristen eigentlich keine 2 Meinungen geben.

Eine traurige Tatsache ist, dass dies offenbar in anderen Berliner Bezirken aus allein opportunistischen Erwägungen nicht so gesehen wird. Hintergrund dieser Verwaltungspraxis scheint zu sein, dass das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten erhebliche Bearbeitungsrückstände in der Prüfung des Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge hat und diese daher möglichst geräuschlos außerhalb von Flüchtlingsunterkünften unterbringen will obwohl eine Kostenübernahme für eine „richtige“ Wohnung wegen des ungeklärten Aufenthaltsstatus noch ausscheidet. Und da drückt man dann eben beide Augen zu und behandelt die Zweckentfremdung einer Wohnung wie in diesem Fall als normalen Vorgang, obwohl es sich inhaltlich um nichts anderes handelt als um die Vermietung einer Ferienwohnung. Meiner Meinung nach hat das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hier völlig richtig gehandelt und der Tagesspiegel täte wirklich gut daran, die Kirche im Dorf zu lassen.


  1. BGH v. 16.7.2008 – VIII ZR 282/07 in NJW 2008, 3361