Kevin Kühnert, die SPD und die Wohnungen in Berlin

Kevin Kühnert, 32 Jahre jung und Generalsekretär der SPD, sucht eine Wohnung. Das wäre nicht weiter schlimm, aber er setzt damit den Blätterwald Deutschlands in Bewegung, und tremoliert, er würde seit einem Jahr erfolglos eine Wohnung suchen. Kein Angebot, nur möblierte Wohnungen, ausgehebelt… blabla. Kevin Kühnert ist mein Nachbar, wohnt im selben Quartier wie ich. Er sucht offenbar in der näheren Umgebung. Und wie bei vielen PolitikerInnen außerhalb ihrer Kernkompetenzen ist seine kleine Pressekampagne mehr Einbildung als Wirklichkeit. Daher ein paar unerbetene Ratschläge und Hinweise ohne Anspruch auf Vollständigkeit vom ImmoAdvo:

Screenshot Google-Suche vom 06.05.2022, az

Suche richtig, und nicht unter Deinem Einkommen!

Kevin Kühnert verdient als Bundestagsabgeordneter rund 180.000 € brutto jährlich, davon sind ca. 1/3 steuerfreie Aufwandsentschädigung, gedacht unter anderem für die „Berliner Wohnung“. Dies hat sein Amtsvorgänger Lars Klingbeil sehr anschaulich dargestellt. Sozialarbeiter, Mietervereine und auch Hausverwaltungen und deren Anwälte gehen davon aus, dass eine Mietbelastung von maximal 30 % des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens im Regelfall tragbar ist. Das ist auch als Faustregel die Grenze für eine finanzielle Härte bei der Prüfung einer modernisierungsbedingten Mieterhöhung. Für kleinere Haushaltseinkommen (wozu dieses- mit Sicherheit nicht zählt) verschieben sich diese Grenzen brutal nach oben. Aber in solchen Fällen greifen andere Regeln und in vielen Fällen „Subjektförderung“, also individuelle staatliche Hilfen, die eine bedarfsorientierte Logik haben.

Vor weniger als 2 Monaten habe ich selbst die Suchmaschinen angeworfen. Umkreis etwa 4 km von meinem/Kevins Kiez. Da ich wie Kevin Kühnert keine finanziellen Sorgen habe, suchte ich für 2 Personen rund < 100 m² und Miete nach oben offen. Bingo! Ich hatte etwa 30 Treffer in unmittelbarer Umgebung. In den Alboingärten vermietet ein großer deutscher Vermieter komfortable Neubauwohnungen in verschiedenen Größen für ca. 18 bis 20 €/m² – vielleicht nicht die Top-Lage, aber sofort zu haben, hell, neu und in Schöneberg. In der Martin Luther Straße die typische „abgerockte“ Altbau-Großwohnung im 4 OG mit Blick auf den Park – zu haben! In der Leberstraße zwei Straßen weiter diverse DG-Ausbauten von 80 – 120 m² – alle diese Wohnungen sofort verfügbar und unter 2.500,00 € monatlich warm.

Das Problem von Kevin Kühnert scheint mir zu sein, dass er eine schöne Wohnung für ein Studenteneinkommen sucht. Und daher konkurriert er mit denen, die auf solche Wohnungen eigentlich angewiesen sind. Das ist nicht nur unsozial, sondern richtig selfish. Außerdem würde er sogar eine vermutlich preiswertere Wohnung in unserer Nachbarschaft frei machen, wenn er sich eine seinem Einkommen entsprechende Wohnung anmietet. In jedem Fall hat er keinen Grund zur Klage.

Die SPD ist schuld – na ja, teilweise

Die SPD hat den Berliner Wohnungsmarkt in den letzten 20 Jahren richtig aufgemischt. Nicht allein, aber auch:

Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit propagierte „arm, aber sexy“ und sorgte mit einer gezielten „laissez faire“ Politik dafür, dass Berlin zur Welthauptstadt der von Billigfliegern mit jungen Touristen versorgten AirBnB-Wohnungen wurde. Also Wohnungen, die zweckentfremdet wurden als Hostels für „Billigtouristen“. Zweckentfremdung wurde zuerst nicht, seit der Wiedereinführung des Zweckentfremdungsrechts Mitte der 2000er Jahre nur halbherzig verfolgt. In Wohnungen untergebrachte Beherbergungsbetriebe durften auch ohne besonderen Brandschutz oder andere, für Hotels übliche staatliche Auflagen funktionierende Wohnungen dem Markt entziehen. Die Verbände der dadurch mit Konkurrenz im Niedrigpreissegment beeinträchtigten Hotellerie liefen damals erfolglos Sturm. Noch heute stöhnen engagierte Bezirksbeamte und -politikerInnen darüber, dass jeder Vorstoß gegen organisierte Wohnraumvernichtung durch „AirBnB“ und ähnliche Geschäftsmodelle auf Senatsebene verwässert oder abgeblockt wird. Mit dem Ergebnis, dass wir nach Schätzungen (genaue Zahlen gibt es nicht) 20.000 bis 80.000 zweckentfremdete Wohnungen haben, die dem Wohnungsmarkt fehlen.

Die Berliner SPD hat mit dem absurden „Mietendeckel“ den Mietspiegel zerstört. Und Mietspiegel sind (weil mehr als 90 % der Bestandsmieten mit ihrer Hilfe erhöht werden oder auch nicht) das wichtigste Instrument zur Deckelung der Bestandsmieten.

Die Bundes-SPD hat mit der Mietpreisbremse (das sind die im BGB verankerten Regelungen über die Begrenzung des Mietanstiegs bei Neuvermietungen) eigentlich alles richtig gemacht: Klare gesetzliche Regelung, verfassungsgemäß und flexibel durch Länder und Kommunen befristet anwendbar bei übergroßer Nachfrage nach Wohnraum. Aber die Regelung bevorzugt Neubauwohnungen (für die gilt die Mietpreisbremse nicht). Und Neubauwohnungen will der Generalsekretär der SPD offenbar nicht mieten, die sind ihm (Neubau kostet momentan so viel wie nie zuvor in Deutschland) zu teuer. Und es wurde „vergessen“, das Schlupfloch der möblierten Wohnungen zu schließen. Auch bei der Gesetzesnovelle. Dabei ist dieses Problem meinen KollegInnen und mir seit Jahren bekannt. Nur nicht der SPD? Hausaufgaben nicht gemacht, setzen!

Denke global!

In unserer Nachbarschaft gibt es sehr viele neue Familien und Single-Haushalte, die u.a. aus spanisch oder englisch sprechenden Ländern kommen. Die kamen nach der Finanzkrise 2008 auf der Suche nach Arbeit und Wohnraum nach Berlin. Denn da kosten die Wohnungen damals wie heute einen Bruchteil von dem, was in Madrid, Paris oder New York zu zahlen ist. Man nennt das Standortvorteil – Berliner Wohnungen sind zu billig! Das ist ja nicht falsch, aber wer zahlt das – immer nur die Vermieter mit gesetzlich verordnetem Renditedeckel? Wer in Berlin durch vergleichsweise preiswerten Wohnraum einen Nachfrageüberhang generiert, muss über die Folgen nicht weinen. Sondern sollte überlegen, ob zusätzliche Gesetze zur Deckelung von Bestandsmieten das richtige Instrument sind. Sind sie nicht, wenn dadurch zusätzlicher Druck auf den Markt ausgelöst wird. Genau das ist das Problem mit staatlichen Eingriffen zur Preisregulierung für lebensnotwendige Güter wie Wohnraum, wenn es keine Bedürfnisprüfung gibt. Denn eine Bedürfnisprüfung für eine besonders preiswerte Wohnung würde jedenfalls Kevin Kühnert nicht bestehen.

Denke antizyklisch!

In unserer Nachbarschaft gibt es ziemlich viele „Baby-Boomer“, Menschen, die wie ich selbst zwischen 55 und 70 Jahre alt sind. Die Geburtenrate ist stark rückläufig. Dies und der demographische Wandel werden dafür sorgen, dass unser Quartier in 5 bis 15 Jahren einen erheblichen Teil der Bewohner verliert. Dann gibt es auch hier wieder Wohnungen für Kevin. Dazu brauchen wir keine Kristallkugel. Ob es da richtig ist, mit massiver Verdichtung im Innenstadtbereich von Berlin Wohnungsneubau um jeden Preis zu wollen (den momentan ohnehin niemand bezahlen kann/will – auch Kevin Kühnert nicht)? Wohl kaum. Die heute gebauten Wohnungen sind – ich schweife ab – der Leerstand des Jahres 2035. Aber so langfristig denken Politiker wohl nicht.

You can’t beat the market!

Dieser Leitsatz „du kannst den Markt nicht schlagen“ gilt nicht nur für Börsenspekulanten, sondern vor allem auch für ein so wichtiges Gut wie Wohnraum. Wer künstlich die Preise drückt mit der absurden Deckelung von Bestandsmieten (Stichwort: „Mietendeckel“), verzerrt nur das Marktgeschehen, ohne dass dies irgend jemandem nützt. Berlin hat (auch das wohl eine Folge der vergleichsweise niedrigen Mieten), jahrzehntelang die niedrigsten Gehälter gehabt im Vergleich zu anderen europäischen oder deutschen Großstädten. Die Berliner Verwaltung zahlt Lehrern weniger als Brandenburg oder irgend jemand. Selbst Berlin hat mittlerweile gemerkt, dass diese Nummer des „arm, aber sexy“ auf Dauer nicht funktioniert. Frage mal jemand aus Köln, Düsseldorf oder München nach dem Verhältnis von Einkommen zu Warmmietbelastung.

Marktregulierung funktioniert nur in Kombination mit Zwangswirtschaft, konkret hier mit Wohnraumbewirtschatung. Wie in der ehemaligen DDR braucht es dafür eine staatliche Kontrolle der Wohnungsbelegung, Wohnraumzuweisung, Bedürfnisprüfung – das volle Programm. Das kann selbst ein ehemaliger JUSO Bundesvorsitzender nicht wollen. Und wenn doch, sollte er es offen sagen und dafür einstehen. Die Bedürfnisprüfung würde er aber auch hier nicht bestehen. Auch dieses maximal sozialistische System würde also Kevin Kühnert nicht seine 3-Zimmer Altbauwohnung für weniger als 1.200,00 € warm monatlich verschaffen. Also geh zurück zu Ratschlag # 1 und hör auf, öffentlich zu heulen.